Bibliothek der Lübecker SchillerstiftungFoto: Joachim Bauer, Lübeck

Die Bibliothek der Lübecker Schillerstiftung

Die Bibliothek der Lübecker Schillerstiftung in der Gemeinnützigen
Unterhaltungslektüren für eine bildungsbürgerliche Führungsgruppe
In: Zeitschrift für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde (ZVLGA) 86, 2006, S. 115-134

Einführung

„In jedem Winter gab es einen sogenannten Leseabend mit drei oder vier Familien, wie es in Lübeck seit langem in den gebildeten Familien, die Anspruch auf künstlerisches Verständnis machten, Sitte geworden war. Die Abende waren ein Ereignis, von dem z. B. Geibel gern bis zu seinem Lebensende sprach! Wir lasen klassische Dramen mit verteilten Rollen; alles wurde sehr ernst genommen, jeder übte sich gründlich dafür ein und scheute die Kritik der Anderen. Die Bewirtung war nicht sehr kostspielig und wechselte bei den Familien ab. Alle vierzehn Tage kam man zusammen; um 6 Uhr nahm die Lesung ihren Anfang; um 7 gab es Tee und etwas Gebäck und um 9 oder ½ 10 Uhr, je nach der Länge des Stückes, wurde kalt zur Nacht gegessen. (…) Auch an den regelmäßigen Veranstaltungen und Festen des Schillervereins, der 1859 gegründet war und zu dessen Vorstehern mein Mann und Baumeister gehörten, nahmen wir teil. Auch dort wurde mitunter, wenn kein sonstiger Vortrag gehalten wurde, mit verteilten Rollen gelesen, ja sogar in der Fastnachtszeit kleine Lustspiele von einzelnen Mitgliedern aufgeführt, die ein früherer Schauspieler einübte. Beim Lesen wirkten Wilhelm und ich beide mit, beim Theaterspielen nur ich, vor einem recht zahlreichen Publikum. Die Erinnerung an diese Erlebnisse macht mir noch heute Spaß! (…) Außerdem war hier für mich die erste Gelegenheit zu Tanzfreuden, die ich ja noch gar nicht kannte. Ich tanzte leidenschaftlich gern, und mein Mann gönnte mir neidlos dies Vergnügen, um das mich meine frühe Verheiratung gebracht hatte und wartete geduldig, bis die letzten Gäste nach Hause gingen, obwohl er weder spielte noch rauchte. Die Zeit muß ihm oft recht lang geworden sein!“ (Therese Deecke, Lebenserinnerungen. Für meine Kinder und Enkel. Übertragen vom Original 1998. Straßburg/Elsass im großen Kriegsjahre 1914, S. 86-87)